Die Filmstarts-Kritik zu Eileen (2024)

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

3,0

solide

Eileen

Eine brillante Thomas McKenzie und ein großer Twist

Von Oliver Kube

Oscargewinnerin Anne Hathaway ist natürlich die prominentere der beiden Hauptdarstellerinnen des Thriller-Dramas „Eileen“ von „Lady Macbeth“-Regisseur William Oldroyd. Der Star des Films ist aber ganz eindeutig Thomasin McKenzie. Die junge Neuseeländerin hat seit ihrem Durchbruch mit „Leave No Trace“ Hauptrollen in einer erstaunlichen Reihe hochkarätiger Filme (von „Jojo Rabbit“ bis „Last Night In Soho“) übernommen – und sich dabei bislang nicht wie andere aufstrebende Stars an ein Franchise binden müssen.

Ganz ohne Franchise-Rolle ist ihre Vita trotzdem nicht. Einen ihrer ersten Kino-Auftritte hatte sie direkt in einem Mega-Event - als Elfjährige in Form eines Miniparts in „Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere“. Später verriet sie, dass sie damals ein Regal voller Elfenperücken im Make-Up-Trailer so beeindruckt hat, dass sie sich seitdem wünscht, in ihrer Schauspielkarriere auch mal eine solche tragen zu dürfen. In „Eileen“ wird ihr dieser Traum (noch) nicht erfüllt. Doch McKenzie braucht keine falsche, wallende weiße Mähne, um zu strahlen – das zeigt sie in ihrer beeindruckenden Darbietung mit halblangen, naturbraunen und gern mal etwas zerzausten Haaren völlig problemlos. Da kann der Rest des Films allerdings nicht ganz mithalten.

Die Filmstarts-Kritik zu Eileen (1)Universal Pictures Germany GmbH

Kurz vor Weihnachten 1964 im provinziellen Massachusetts: Seit dem tragischen Tod ihrer Mutter kümmert sich Eileen (Thomasin McKenzie) um ihren verbitterten und depressiven, hoffnungslos dem Alkohol verfallenen Vater (Shea Whigham), den Ex-Polizeichef des Örtchens. Zudem muss sie den Unterhalt für beide als Schreibkraft in der lokalen Jugendhaftanstalt verdienen. Um ihren trostlosen Alltag ohne soziale Bindungen irgendwie durchzuhalten, gibt sie sich romantischen Fantasien hin und träumt davon, ins für sie so glamourös erscheinende New York zu flüchten.

In ihrer knapp bemessenen Freizeit sucht die Mittzwanzigerin zudem etwas Aufregung: Sie begeht kleine Ladendiebstähle und stalkt heimlich den gut aussehenden, an ihr aber null interessierten Wärter Randy (Owen Teague). Vor den von Eileen mit Schrecken erwarteten Feiertagen fängt dann jedoch die Psychologin Rebecca (Anne Hathaway) im Gefängnis an. Eileen ist fasziniert von der ebenso attraktiven wie selbstsicheren Frau und die zwei freunden sich miteinander an. Was Eileen allerdings nicht ahnt: Nur wenige Tage später wird der Neuankömmling sie in ein schweres Verbrechen hineinziehen ...

Die Thomasin-McKenzie-Show

Egal was das von Ottessa Moshfegh verfasste, auf ihrer eigenen Romanvorlage basierende Drehbuch der Hauptdarstellerin auch abverlangt, Thomasin McKenzie meistert es mit Bravour – und einer ganzen Bandbreite an Darstellungen. Mit einer Engelsgeduld nimmt so Eileen nicht nur die Sauferei und Beschimpfungen ihres Vaters hin, sondern auch die Drangsalierungen ihren älteren Kolleginnen in der Schreibstube des Gefängnisses. Nicht nur hier erweckt McKenzies Spiel Mitled – auch wenn sich die Titelfigur mit auf dem Dachboden gebunkerter Schokolade vollstopft, nur um diese gleich danach wieder auszuspeien. Gleich in der Eröffnungsszene sehen wir Eileen derweil in ihrem klapprigen Auto masturbieren ... während sie ihren heimlichen Schwarm ein paar Wagen weiter mit einer anderen beim Sex beobachtet.

Im krassen Gegensatz dazu folgt dann das Aufblühen der Figur, als die von Anne Hathaway („Interstellar“) verkörperte, mit ihrem glamourösen Äußeren und dem forschen Auftreten überhaupt nicht in diese graue Welt passen wollende Rebecca in Eileens Leben tritt. Wir merken geradezu, wie die in einer tristen und gewalttätigen Umgebung gefangene junge Frau plötzlich Hoffnung schöpft und bereit zu sein scheint, etwas an ihrem Dasein, ihrer Einstellung und ihrem Selbstbewusstsein zu verändern.

Die Filmstarts-Kritik zu Eileen (2)Universal Pictures Germany GmbH

Umso heftiger ist dann eine von der Inszenierung geschickt ganz harmlos und unscheinbar vorbereitete Schockwende nach etwa einer Stunde Laufzeit. Aus dem sich bis dahin nahezu komplett als Charakterdrama präsentierenden Film wird nämlich im Handumdrehen und ohne echte Vorwarnung ein pulpiger Thriller. Dabei variieren Regisseur Oldroyd und Chef-Kamerafrau Ari Wegner („The Power Of The Dog“, „The Wonder“) gar nicht allzu viel am Look ihres Werks. Nur die Frequenz der Schnitte von Nick Emerson („Emma.“) zieht etwas an, aber ansonsten ändert sich Eileens Umgebung nicht.

Sie lebt noch immer in diesem deprimierenden Kaff, in dem die Sonne höchstens mal hinter der Wolkendecke zu erahnen ist. Sie verbringt ihre Tage weiterhin innerhalb grauer, kahler Gefängniswände und die Abende im nicht nur in Bezug auf die Stimmung düsteren Haus ihres Vaters. Doch plötzlich erscheint das alles viel leichter zu ertragen, denn Eileen selbst legt eine Transformation hin. Plötzlich sind ihre Haare ordentlicher, sie ist nicht mehr so bleich wie eine Leiche auf dem Obduktionstisch und sie trägt eines der farbenfrohen Kleider ihrer verstorbenen Mutter. Vor allem aber hat sie plötzlich Hoffnung. Hoffnung darauf, etwas anderes zu sein als ein menschlicher Fußabtreter. Doch die Person, auf die sie all ihre Ambitionen proji*ziert, ist nicht die, für die Eileen sie hält.

Anne Hathaways Figur dient zu sehr dem Plot

Hathaway ist erstklassig als extrovertierte Großstädterin, die Eileens Welt gehörig aufmischt. Während sie ihre Rebecca ebenfalls eine drastische Wandlung durchmachen lässt, kommt sie aber längst nicht mehr so überzeugend daher. Ohne zu viel über die Umstände verraten zu wollen, wirkt die Figur mit weit aufgerissenen Augen hier weniger wie ein Mensch als wie eine Requisite, die lediglich eine Funktion erfüllt, um den Plot voranzubringen. Das ist weniger der Oscarpreisträgerin zuzuschreiben, als dem Material, das ihr zur Verfügung stand und der Rolle, welche ihr zugedacht ist.

Der Einstieg und das Aufeinandertreffen der beiden Frauen sind dabei noch wunderbar präzise konstruiert. Leider trudelt das Ganze nach dem ebenfalls noch so überraschend wie effizient herbeigeführten Twist in Form eines Genre-Wechsels aber bald danach merklich ziellos einem allzu vage geratenen Ende entgegen. Was gerade deshalb etwas enttäuschend ist, weil zumindest die Titelheldin bis zum Abspann durchaus noch faszinierend vielschichtig bleibt. Da wurden ähnliche Konstellationen zwischen zwei sich aufgrund ihrer krassen Gegensätzlichkeit anziehender Protagonistinnen in „Shirley“ und vor allem „Carol“ dann doch deutlich befriedigender aufgelöst.

Fazit: Eine brillant spielende Thomasin McKenzie und ein komplett überzeugender Aufbau werden leider zum Ende vom Drehbuch etwas im Stich gelassen.

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